Die Vernetzte Informationswirtschaft nach Yochai Benkler

Die Vernetzte Informationswirtschaft nach Yochai Benkler

1 Einleitung

Der aktuelle technische Stand der Internetentwicklung und die mit ihr verbundenen vielfältigen Nutzungsspielräume bilden die Basis der digital vernetzten Welt von heute. Auf diesem Fundament wurden zahlreiche bemerkenswerte Leistungen errichtet. Dass die Zusammenführung dieser Leistungen mitunter hoch komplex und überaus umfangreich ist, verdeutlichen die folgenden Beispiele:

Wikipedia gilt als eine der erfolgreichsten kollaborativen Unternehmungen des Internets. Mit über 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie 1.6 Millionen Artikeln war Wikipedia schon 2005 die größte Enzyklopädie im Internet. Wikipedia übertraf bereits damals quantitativ wie auch qualitativ die bis dahin geltende Referenz unter den Enzyklopädien – die Encyclopaedia Britannica.1

Eines der leistungsfähigsten Betriebssysteme entstammt dem Open-Source Projekt GNU/Linux, welches in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts von Linus Torvalds ins Leben gerufen und seither von unzähligen Personen weiterentwickelt wurde. Linux wird heute als Serverbetriebssystem von zahlreichen führenden Internetfirmen darunter Google, Amazon oder CNN verwendet.2

Der leistungsfähigste Supercomputer der Welt war 2004 nicht etwa IBMs Supercomputer Blue Gene/L sondern das etwa 75 Prozent schnellere Rechnernetzwerk SETI@Home mit seinen 4.5 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. SETI@Home basiert auf einer Software, die einzelne PCs zu Zeiten, in denen diese ungenutzt zur Verfügung stehen, für externe Rechenaufgaben zu einem Rechnernetzwerk zusammenschließt.3

Die genannten Beispiele haben eines gemeinsam: Sie alle wurden losgelöst von finanziellen Interessen und marktwirtschaftlichen Bestrebungen freiwillig erbracht. Freiwillige Mitarbeit ist für sich genommen kein neues Phänomen. Neu hieran ist, dass das immense Kapital zur Erbringung dieser Leistungen – also die technischen Voraussetzungen – nahezu vollkommen unter der Kontrolle von Individuen steht. Zudem ist es beachtlich wie intensiv und vielfältig die technischen Spielräume individuell ausgenutzt werden und hieraus gleichzeitig soziales Nutzungsverhalten mit dem Ziel der Leistungserbringung entstanden sind.

Dass diese Phänomene von nachhaltiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung sind, liegt auf der Hand. Yochai Benkler greift in seinem Buch „The Wealth of Networks. How Social Production Transforms Markets and Freedom“ die aktuelle Entwicklung von sozialen Netzwerken bis zur Open-Source Software auf. Unter dem Oberbegriff „The Networked Information Economy“ – zu deutsch „Vernetzte Informationswirtschaft“ – schildert Benkler die Situation und ihre weitreichenden Konsequenzen. Die Vernetzten Informationswirtschaft wird dabei von der sogenannte sozialen Informations- und Gruppenproduktion4 (aus dem Englischen „Peer-Production“) getragen. Benklers Beobachtung wird theoretisch von einer unter anderem soziologischen, psychologischen, wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Perspektivenvielfalt untermauert, was seiner Betrachtungsweise Reichhaltigkeit verleiht.

Vernetzte Informationswirtsschaft Benkler - Aufbau

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf den zweiten Teil des Buches „The Networked Information Economy“ und versteht sich als Erläuterung der Vernetzten Informationswirtschaft. In Kapitel 2 wird als Einführung der Frage nachgegangen, inwiefern sich die Vernetzte und die Industrielle Informationswirtschaft voneinander abgrenzen. Zudem geht es dabei um die Kerneigenschaften von Information. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der sozialen Informations- und Gruppenproduktion. Im Zentrum der Betrachtung steht hier, welche Rolle die Motivation der Menschen zukommt, wie soziale Informationsproduktion organisiert wird und inwiefern sie sich als effizient erweist. Kapitel 4 befasst sich mit den Folgen der rechtlichen Aspekte auf die Vernetzte Informationswirtschaft. Abschließend werden in Kapitel 5 mögliche Strategien der Informationsproduktion einander gegenübergestellt. Den Aufbau der Arbeit veranschaulicht Abbildung 1.

2 Einführung in die Vernetzte Informationswirtschaft

Als Einführung in die Vernetzte Informationswirtschaft soll zunächst die Entwicklung der Industriellen Informationswirtschaft geschildert werden, um ihr die Vernetzte Informationswirtschaft gegenüberzustellen. In Abschnitt 2.2 geht es um die Abgrenzung des Begriffs Information aus gesellschaftsökonomischer5 Sicht.

2.1 Industrielle versus Vernetzte Informationswirtschaft

Das Bild der Informationswirtschaft ist vor allem durch die Mechanismen und insbesondere die industriellen Produktionsverfahren der Massenmedien des 20. Jahrhunderts geprägt. Daher kann sie auch als Industrielle Informationswirtschaft betitelt werden. Diese Produktionsweise beruht auf der massenhaften Vervielfältigung einer Information oder eines Informationsbündels6 sowie ihrer flächendeckenden Verbreitung. Druckerpressen, leistungsfähige Sendeanstalten sowie kommerzielle Satelliten und Kabelnetze sind die technische Folge und Voraussetzung zugleich. Für die technischen Einrichtungen sind hohe Investitionskosten notwendig, was die Massenmedienproduzenten dazu veranlasst, renditeorientiert zu wirtschaften. Die Folge ist die Entwicklung und Produktion relativ weniger Produkte einer überschaubaren Produktpalette, die bei einem möglichst großen Publikum Zustimmung finden. Anhand hoher Auflagen werden diese Produkte zu geringen Stückkosten vervielfältigt und unter Zuhilfenahme flankierender präferenzbildender Maßnahmen bei Konsumentinnen und Konsumenten massenhaft abgesetzt. Als Beispiel kann hier die Musikindustrie des 20. Jahrhunderts genannt werden: Sie basiert zu weiten Teilen auf der Produktion von Megastars.7 Dieses Beispiel charakterisiert den Kern der Produktions- und Verbreitungsweise der Industriellen Informationswirtschaft. Sie basiert demnach auf einer starken Konzentration und Zentralisierung des Informationsinventars auf Seiten der Produzenten. Sie stützt sich dabei auf eine einseitige Kommunikationsrichtung vom zentralisierten Informationsproduzenten an eine unbestimmte Vielzahl unbekannter Empfängerinnen und Empfänger. Hierin liegt mitunter auch das Machtpotenzial der Massenmedien: Sie bestimmen, was wann in welcher Lautstärke und in welchem Tonfall kommuniziert wird. Diese Vorgehensweise lässt sich wirtschaftlich monetarisieren und politisch instrumentalisieren. Die Folgen einer Überreizung beider Faktoren sind gemeinhin bekannt.8

Das Wesen der Vernetzte Informationswirtschaft verhält sich in Folge seiner Entwicklung gänzlich konträr zu dem der Industriellen Informationswirtschaft. Die technischen und ökonomischen Voraussetzungen für die Vernetzte Informationswirtschaft sind Computer und deren Vernetzung. Die Computer sind dabei massenhaft im Besitz von Einzelpersonen und privaten Haushalten. Das heißt, dass die Computer den gegebenen sozioökonomischen Bedingungen nach entsprechend erschwinglich sein müssen, was flächendeckend bislang nur auf fortgeschrittene Wohlstandgesellschaften zutrifft. Die Vernetzung stellt heute das Internet dar, dessen Leistungsfähigkeit seit der Jahrtausendwende den sinnvollen Austausch von Information hinreichend zulässt. Zusätzlich zur technologischen und ökonomischen Machbarkeit müssen die Computer und deren Vernetzung von Menschen gesteuert werden. Die Menschen müssen zudem über Informationen verfügen und diese mit anderen Menschen teilen, also kommunizieren wollen. Das Internet zeigt auf eindrucksvolle Weise – siehe die zahlreichen Austauschplattformen wie Foren, Blogs und Communities – dass dies von unzählig vielen Menschen praktiziert wird und hieraus soziale Verhaltensweisen entstanden sind. Dies ist der ökonomisch bedeutsame Faktor: Nicht der technische Penetrationsgrad von PCs und Breitbandanschlüssen sondern das Ineinandergreifen von technischen Möglichkeiten und die individuelle Ausnutzung der Spielräume, die in gezielten sozialen Verhaltensweisen münden, verleihen der Vernetzten Informationswirtschaft die wirtschaftliche Tragweite und Nachhaltigkeit. Die Kerneigenschaften gegenüber der industriellen Informationswirtschaft sind demzufolge Dezentralisierung, soziale Verhaltensweisen statt marktwirtschaftlich kommerzieller Strebsamkeit, ausgeprägte Diversifikation der einzelnen Informationsprodukte sowie Platz für Vielfältigkeit und Nischen. Für bestimmte Wirtschaftsbereiche wie zum Beispiel die Medien- oder Tonträgerwirtschaft bedeutet die Vernetzte Informationswirtschaft die Umkehrung der Kontrolle über die Konzentration der Informationsprodukte – die starke Zentralisierung zerfällt zur Dezentralisierung. Den Massenmedien wird somit die Legitimation zur Steuerung der Kommerzialisierung von Informationsprodukten entzogen. Dies birgt eine erhebliche existenzielle Gefahr, für die finanzielle Stabilität ganzer Wirtschaftszweige. Gesellschaftlich hat die Vernetzte Informationswirtschaft zwangsläufig Einfluss auf unsere gesamte Weltanschauung. Menschen verändern unter ihren Bedingungen ihre Wahrnehmung und Bewertung von Information. Der Weg für eine zweiseitige Kommunikationsrichtung ist längst geebnet und jeder einzelne Mensch hat die Möglichkeit, auf die Informationsproduktion unmittelbar Einfluss zu nehmen.9

Als Abschluss der Einführung in die Vernetzte Informationswirtschaft sollen nachfolgend die Eigenschaften von Information geschildert werden.

2.2 Eigenschaften von Information

Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften ist Information – also Wissen, Kultur und Informationen im engeren Sinne – kein privates und wirtschaftliches Gut sondern öffentliches Gemeingut. Begründen lässt sich dieses Verständnis durch drei wesentliche Eigenschaften von Information: Information ist im gesellschaftsökonomischen Sinn nicht rivalitär, erzeugt keine Grenzkosten und baut auf einander auf. Dies soll nachfolgend näher betrachtet werden.

Unter gesellschaftsökonomischen Gesichtspunkten ist Information kein Gut, was verbraucht oder besessen werden könnte – auch wenn Information durch gesellschaftliche Verabredungen wie Normen und Gesetze zu geistigem Eigentum wird. Folglich muss eine Information nur ein einziges Mal produziert werden, um sie mittels Vervielfältigung einer Vielzahl von Personen zur Verfügung zu stellen. Anders verhält es sich beispielsweise mit Lebensmitteln, wo jedes Stück nur ein Mal besessen und verbraucht werden kann. Diese Eigenschaft wird als „rival“ oder „nonrival“ bezeichnet. Information ist demnach „nonrival“.10

Die „Nicht-Rivalität“ von Information ist die Voraussetzung für ihre zweite entscheidende Eigenschaft: Da die Konsumtion von Information zu keiner Verknappung des Gutes führt, bedarf es keiner weiteren Ressource, um die Information ein zweites und weiteres Mal zu konsumieren. Das heißt, dass die Grenzkosten – also die Kosten, die notwendig sind, um eine weitere Einheit des Informationsprodukts zu produzieren – immer gegen Null gehen. Kosten entstehen lediglich für das Trägermedium wie Papier oder Tonträger sowie durch den Vorgang der Speicherung und der Verbreitung, nicht aber durch die Kopie, der auf dem Medium befindlichen Information. Diese Leistung wird nur ein einziges Mal erdacht, erfunden, kreiert und damit produziert. Durch den Faktor der Grenzkosten kann die Bepreisung eines solchen Guts aus gesellschaftsökonomischer Sicht nie effizient sein, denn das Gut kann durch den Mechanismus der künstlichen Verknappung niemals optimal ausgenutzt werden. Aus der Perspektive der gesellschaftsökonomischen Effizienz müsste demnach jede Information jedem Menschen uneingeschränkt zur Verfügung stehen (vgl. Abschnitt 3.3).11 Dem entgegen stehen die finanziellen Interessen der Urheberinnen und Urheber. Durch die Einräumung exklusiver Nutzungsrechte, die mittels Gesetzen reguliert werden, wird die Dynamik der Märkte künstlich beeinträchtigt. Dies steht im Widerspruch zu freien Märkten. Das Problem für den klassischen Medienmarkt hierbei ist, dass sobald jemand auf die finanziellen Interessen verzichtet, ein Substitut zum klassischen Markt entstehen kann, wo Informationsprodukte gleicher Güte frei zur Verfügung gestellt werden. Genau dieser Fall ist in diversen Bereichen der Informationswirtschaft eingetreten.12

Die dritte Eingenschaft von Information geht auf das Zitat „on the shoulder of giants“ von Isaac Newton zurück. Hiermit wird zum Ausdruck gebracht, dass jede Information auf einer anderen Information aufbaut. Seien es Nachrichten aus der Politik, die auf politischen Entscheidungen beruhen, die ab einem gewissen Zeitpunkt historische Ereignisse genannt werden. Sei es die wohltemperierte Stimmung mit ihren zwölf Tönen der Tonleiter in der Musik, auf die man sich in der westlichen Welt einmal verständigt hat: Neue Information baut immer auf bereits existierender Information auf, wobei die Informationsproduktion immer Informations-Input und Informations-Output zugleich ist. Eine strikte Handhabe und Durchsetzung exklusiver geistiger Eigentumsrechte, wo jede existierende Information zur Produktion einer neuen Information vergütet werden müsste, hätte zur Folge, dass die Grenzkosten, die eigentlich Null betragen, ins Unermessliche steigen würden. Dies würde die Informationsproduktion von heute und die Innovation von morgen zum Erliegen bringen.13

Die Eigenschaften von Information aus gesellschaftsökonomischer Sicht bilden die Grundlage für viele weitere Erwägungen hinsichtlich der sozialen Informationsproduktion. Sie werden im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wiederkehrend aufgegriffen. Vor dem Hintergrund der definitorischen Abgrenzung von Information als Produktionsgut sollen im folgenden die Faktoren der Informationsproduktion beleuchtet werden.

3 Informationsproduktion in der Vernetzten Informationswirtschaft

Wie einleitend bereits angedeutet, spielt neben den technischen Voraussetzungen vor allem die Ressource „Mensch“ und dessen Verhaltensweisen im Umgang mit der technischen Umgebung – ebenfalls im Sinne einer Ressource – die entscheidende Rolle in der Vernetzten Informationswirtschaft. Was bewegt Menschen dazu erhebliche intellektuelle Leistungen aufzubringen, um gemeinsam leistungsfähige Software zu entwickeln, ihre PCs zu einem Supercomputer zusammen zu schließen oder die größte Enzyklopädie der Welt zu verfassen (vgl. Abschnitt 1)? Die Antwort lautet, dass eine der essentiellen Triebfedern sozialer Informationsproduktion die Befriedigung emotionaler und sozialpsychologischer Bedürfnisse ist, wie wir sie aus weiten Bereichen unseres Lebens kennen. Finanzielle Interessen sind für die soziale Produktion offensichtlich von nachrangiger Bedeutung. Auffällig hierbei ist die Tatsache, dass individuelle, emotionale und sozialpsychologische Beweggründe, die von marktorientierter, kommerziell gesteuerter Industrieller Informationsproduktion in keinster Weise aufgegriffen werden, sich aufgrund der technischen Gegebenheiten plötzlich in erhebliche wirtschaftliche Faktoren nicht-proprietärer, nicht-kommerzieller sozialer Informationsproduktion verwandeln.14

Doch warum sind Menschen motiviert sich abseits finanzieller Interessen intellektuell zu engagieren, um Information zu produzieren und sich hierbei sozial zu verhalten (vgl. Abschnitt 3.1)? Wie lassen sich die individuellen Leistungen organisieren (vgl. Abschnitt 3.2) und was sind die ökonomischen Auswirkungen der sozialen Produktion hinsichtlich der Transaktionskosten sowie der Effizienz (vgl. Abschnitt 3.3)? Nachfolgend werden diese Eigenschaften der Informationsproduktion in der Vernetzten Informationswirtschaft dargestellt.

3.1 Die Ressource Mensch – der Faktor Motivation

Basis der Vernetzten Informationswirtschaft ist die Motivation des Menschen, Information zu teilen. Nach Benkler kann ein Individuum aus dreierlei Perspektiven Motivation schöpfen:

In der weit verbreiteten wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist Motivation mittels monetärer Anreize lenkbar. Hier existieren Dinge, nach denen Menschen streben und Dinge, die Menschen vermeiden möchten. Geld ist eine Sache, nach der Menschen streben. Anstrengungen sind hingegen Dinge, die Menschen vermeiden wollen. Folglich müssen Dinge, die Menschen vermeiden wollen, durch die Dinge aufgestockt werden, nach denen Menschen streben. Hieraus entsteht Motivation. Diese Betrachtung trifft für einige Bereiche zu, auf andere wirkt sie jedoch geradezu absurd: Zum Beispiel wäre es vollkommen unangebracht nach einem Abendessen im Zuge einer Einladung aus dem Freundeskreis einen 50 Euro Schein auf den Tisch zu legen. Dies wird vermutlich dazu führen, dass man nicht wieder eingeladen wird, obwohl dies durch die Hinzugabe von Geld intendiert wurde – also die Motivation der Gastgeber wieder zu einem Abendessen einzuladen zu fördern. Die Situation wäre im Falle eines mitgebrachten Blumenstraußes eine völlig andere. Folglich kommt es bei Handlungen in Verbindung mit Motivation auf die Integrität des Verhaltens im sozialkulturellen Kontext an. Mit anderen Worten ist Geld nicht grundsätzlich der richtige Motivationsfaktor.15

Ein anderes Modell der Motivation beruht auf der Unterscheidung von intrinsischer und extrinsischer Motivation nach Bruno Frey. Intrinsische Motivation basiert auf individuellen inneren Präferenzen, wobei extrinsische Motivation von außen auf einen Menschen einwirkt. Extrinsische Motivation kann in Form von Anreizsystemen aber auch durch das Schüren von Ängsten, beispielsweise Verlustängste, auftreten. Beachtenswert dabei ist, dass extrinsische Motivation dazu imstande ist, intrinsische Motivation zu verdrängen. Hierfür sind vor allem zwei Faktoren verantwortlich. Zum einen beeinträchtigt extrinsische Motivation durch die Auswirkungen externer Zwänge die Selbstbestimmung eines Menschen. Es droht die Gefahr des Manipulationsverdachts. Zum anderen führt es zur Minderung des Selbstwertgefühls und – im zweiten Schritt – zur Reduktion der Leistungsbereitschaft, weil die innere intrinsische Motivation keine Beachtung und Wertschätzung erfährt. Auch aus der Perspektive der intrinsischen und extrinsischen Motivation resultiert folglich, dass extrinsische monetäre Anreize, die auf die Förderung der Motivation abzielen, das Gegenteil dieser Intention bewirken – sie schwächen die Motivation.16

Die dritte Sicht Benklers auf den Faktor Motivation geht auf die Annahme zurück, dass sich Motivation auf die zwei ultimativen Belohnungskategorien des sozialen Systems – wirtschaftliches Ansehen und soziales Ansehen – stützt. Wirtschaftliches und soziales Ansehen sind nicht grundsätzlich austauschbar, wenngleich soziales Ansehen in vielerlei Hinsicht mittels wirtschaftlichem Ansehen suggeriert wird – in Form von Luxusgüter beispielsweise. Gleichzeitig macht aber die Betrachtung sozialer Beziehungen wie Freundschaft oder Liebe deutlich, dass das soziale Ansehen bzw. die soziale Stellung einer Freundschaftsbeziehung im Sinne einer Belohnungskategorie durch die Hinzugabe von Geld im Kern vernichtet würde. Es wäre dann keine Freundschaftsbeziehung mehr. Auch diese Sicht auf den Faktor Motivation führt folglich dazu, dass die Hinzugabe von Geld zum Gegenteil des Gewollten führt.17

Für die Betrachtung der Vernetzten Informationswirtschaft ist es unerheblich, sich auf ein bestimmtes Modell der Motivation festzulegen. Motivation basiert vermutlich auf einer Mischung aus allen Modellen. Wichtig ist vielmehr, dass es um die Befriedigung sozialpsychologischer Bedürfnisse geht, die die hohe Beteiligung an Projekten sozialer Informationsproduktion erklären. Das Einbringen finanzieller Interessen tritt vollkommen in den Hintergrund und ist häufig sogar schädlich. Es gilt folglich anzuerkennen, dass sozialpsychologische Bedürfnisbefriedigung in der Vernetzten Informationswirtschaft der entscheidende Motivationsmotor ist, welcher signifikante wirtschaftliche Auswirkungen hat.18

Auf der Basis der sozialpsychologischen Bedürfnisbefriedigung als wichtigster Motivationsfaktor der sozialen Produktion, soll im folgenden Abschnitt die Organisation der sozialen Informationsproduktion in Augenschein genommen werden.

3.2 Organisation sozialer Informationsproduktion

Grundlage der Organisation sozialer Informationsproduktion ist, dass sich die Ressource intellektuelle Leistung sowie die relativ leistungsfähige Computerperipherie unter der Kontrolle und im Besitz von Einzelpersonen befindet (vgl. Abschnitt 2.1).19 Dies vorausgeschickt gilt es, die grundsätzlichen Eigenschaften der Computerperipherie zu beachten: Güter lassen sich der Körnigkeit nach (aus dem Englischen „fine-, medium-, large-grained“) in klein-, mittel-, und grob-granulare Güter untergliedern. Klein-granulare Güter sind solche, die dem Bedürfnis nach exakt disponiert werden können – Lebensmittel zum Beispiel lassen sich ihrem Bedarf nach angemessen produzieren und handeln. Grob-granulare Güter sind solche, die in der Anschaffung zu kostenintensiv für Einzelpersonen sind und für die der Rentabilität halber zusätzliche Nachfrage existieren oder geschaffen werden muss. Ein Beispiel hierfür sind die Produktionsanalgen der Massenmedien. Medium-granulare Güter sind Güter, die von Einzelpersonen angeschafft, die allerdings ihrer Kapazität nach nicht voll ausgeschöpft werden können. Hieraus resultieren überschüssige Kapazitäten. Bei PCs handelt es sich um ebendiese medium-granularen Güter, weil diese eigenständige relativ leistungsfähige Rechnereinheiten bilden, die bei Nicht-Nutzung über überschüssige Kapazitäten verfügen. Diese überschüssigen Kapazitäten werden in der Vernetzten Informationswirtschaft als Ressource nutzbar gemacht.20

Die zweite Eigenschaft liegt darin, dass der Verlauf der technische Entwicklung keineswegs als selbstverständlich anzusehen ist. Diese hätte ebenso Supercomputer hervorbringen können, die als Leistungs- und Informationsaggregatoren deutlich leistungsschwächere Terminalcomputer speisen und bedarfsabhängig Computerleistung eingekauft werden muss. Damit stünde keinerlei überschüssige Kapazität zur Verfügung, weder für die Kanalisierung intellektueller Leistungen noch für das Zusammenschließen überschüssiger Rechenleistung, wie dies bei SETI@Home der Fall ist (vgl. Abschnitt 1). Das heißt, dass die technischen Voraussetzungen für die Organisation sozialer Informationsproduktion keineswegs beliebig sind, sondern es sich um den Stand der derzeitigen technischen Entwicklung handelt, der die Voraussetzung für die Vernetzte Informationswirtschaft bildet.21

Auf der Grundlage der technischen Gegebenheiten liegen die Kerneigenschaften der sozialen Informationsproduktion und insbesondere der Gruppenproduktion in der Modularität und Kleinteiligkeit der Informationsprodukte bzw. dessen Projekte. Diese beiden Eingenschaften basieren auf der Tatsache, dass die menschlich geistig intellektuelle Ressource in Puncto Aufmerksamkeit und zeitliche sowie geografische Verfügbarkeit knapp ist, sowie Leistungsquantität und -qualität nicht gleichbleibend zur Disposition steht. Um also sinnvolle Beiträge in die Informationsproduktion einbringen zu können, muss es möglich sein, ein Projekt in kleinteilige funktionsfähige Module zu zergliedern. Je mehr kleinteilige Module in einem Projekt vorhanden sind, desto mehr Menschen können sich daran beteiligen und desto kleiner können die zu leistenden Beiträge sein. Genau dieser Umstand ist bei großen, erfolgreichen, sozialen Gruppenprojekten wie beispielsweise Wikipedia gegeben. Verfügt ein Projekt nur über wenige Module und nehmen die Module an Komplexität zu, sinkt die mögliche Anzahl der teilnehmenden Personen bei steigendem zeitlichen und intellektuellen Leistungsbedarf pro Modul.22

Die Fertigung und Zusammenführung solcher Module setzt in der sozialen Informations- und Gruppenproduktion auf bestimmte Verhaltensweisen, die auf drei Bedingungen basieren:

  1. Es existieren keine hierarchischen Rangordnungen, wie sie in Linien- und klassischen Projektorganisationen üblich sind.
  2. Die Produktion findet losgelöst von marktwirtschaftlichen Bestrebungen statt.
  3. Es gibt keinen Chef.

Während Koexistenzen und die individuellen Verhaltensweisen in der Gruppenproduktion freiwillig und vollkommen autonom sind, sind sie doch substanziell geprägt durch kollaborative Kooperation, inhaltliche Kompetenz, nicht-untergraben des Ganzen und der Identifikation von Quertreibern, die diesen Verhaltensregeln nicht Folge leisten. Technische Hilfsfunktionen und die Bildung von Räten, die zwar über erweiterte Befugnisse verfügen, aber keine Autoritäten im Hinblick auf die zweckmäßige Produktionsausübung an sich darstellen, werden zur Steuerung hinzugezogen.23

Abschließend lassen sich drei entscheidende Voraussetzungen sozialer Informationsproduktion zusammenfassen, die ohne exklusive Eigentumsrechte auskommt und nicht auf marktwirtschaftlich kommerzielle Unternehmungen abzielt. Diese Wesensmerkmale sind klare Indizien für die Nachhaltigkeit der sozialen Informations- und Gruppenproduktion. Es ist folglich unwahrscheinlich, dass es sich hierbei um eine vorübergehende Modeerscheinung handelt. Es gilt daher die soziale Informations- und Gruppenproduktion als neue Modalität der Produktionsorganisation anzuerkennen.

  1. Das physische Kapital in Form von leistungsfähigen PCs und Internetzugängen ist weit verbreitet und unter der freien Kontrolle von Einzelpersonen. Es übersteigt die Kapazitäten der Produktionsstädten der Massenmedien folgt aber keinen marktwirtschaftlichen und finanziellen Interessen.
  2. Der Primärrohstoff basiert auf gemeinfreien Gütern in Form von existierenden Informationen, Wissen und Kulturprodukten. Die Grenzkosten hierfür betragen Null. Finanziellen Aufwände, Verpflichtungen oder Zwänge existieren nicht.
  3. Die technische Struktur, die Organisation und die soziale Dynamik sind hoch Modular. Unzählige Koexistenzen und diverse individuelle Motivationsmuster münden in kooperativen Unternehmungen zur Schaffung neuer Informationen, neuer Kulturgüter und neuem Wissen.

3.3 Transaktionskosten und Effizienz sozialer Produktion

Die Nachhaltigkeit der Gruppenproduktion und der nicht-kommerziellen marktwirtschaftlich unabhängigen Informationsproduktion in der Vernetzten Informationswirtschaft wirft die Frage auf, inwiefern sich nicht-proprietäre, nicht-kommerzielle Informationsprodukte gegenüber marktorientierten Informationsprodukten als effizient erweisen. Dieser Faktor lässt sich aus folgender Gegenüberstellung herleiten: Die Effizienz einer nicht-kommerziellen, auf sozialen Produktionsverfahren basierenden Information, die zur freien Nutzung zur Verfügung steht, ist dann gegeben, wenn der Nettowert dieser Information nicht weniger ist als der Gesamtwert der kommerziellen auf Eigentumsrechten basierenden Information abzüglich der Aufschläge, die aus preisstrategischen Gesichtspunkten erhoben werden, die über den Grenzkosten liegen. Sobald also Kosten für die Vergütung von Eigentumsrechten entstehen, sind die Grenzkosten größer als Null, was bei nicht-proprietärer, nicht-kommerzieller Information, die auf gemeinfreien Gütern und auf sozialer Produktion beruht, nicht der Fall sein kann. Folglich ist Information der Vernetzten Informationswirtschaft in Puncto Nutzung und Produktion grundsätzlich und auch im Vergleich zu Information der Industriellen Informationswirtschaft effizient.24

Effizienz Grenzkosten nach Benkler

Abbildung 2: Effizienz sozialer und industrieller Informationsproduktion

Im Feld der Effizienz der sozialen Informationsproduktion ist weiterhin die Betrachtung der Transaktionskosten von Bedeutung. Transaktionskosten sind alle erdenklichen Kosten bzw. Ressourcen, die für jede – auch kleinteilige – Produktion aufgebracht werden müssen. Sie können in nicht-monetärer und monetärer Gestalt in Erscheinung treten. Zur Verdeutlichung lassen sich Transaktionskosten nach den Transaktionsumgebungen wie folgt unterscheiden:

  1. Marktbasierte Transaktionsumgebung: Eine Ressource wird eingekauft und bezahlt.
  2. Unternehmensbasierte Transaktionsumgebung: Eine Ressource wird innerhalb eines Unternehmens mittels unternehmerischer Planung, Aufgabenverteilung und entsprechender Entlohnung beschafft.
  3. Sozialalternative Transaktionsumgebung: Eine Ressource wird mittels Schenkung vor dem Hintergrund sozialpsychologischer Motivationsmuster erbracht.

Der gravierende Unterschied der sozialalternativen insbesondere zur marktbasierten Transaktionsumgebung ist, dass innerhalb der marktbasierten Transaktionsumgebung trennscharf quantifiziert und abgerechnet werden muss. Das heißt, dass einer exakt definierten Leistungen oder Ressource eine exakt definierte Gegenleistung gegenübersteht. Die Notwendigkeit dieser Trennschärfe und Quantifizierbarkeit trifft auf die sozialalternative Transaktionen nicht zu. Ein wesentliches Merkmal eines Geschenks im Sinne einer sozialalternativen Transaktion liegt in der Abwesenheit von Kalkulation hinsichtlich des Wertes. Der Wert eines Geschenks ist also nicht trennscharf berechenbar. Ein weiteres Beispiel ist eine freundschaftliche Beziehung (vgl. Abschnitt 3.1), in welcher eine Leistung erbracht wird: Eine Freundschaftsleistung ist keine Freundschaftsleistung mehr, wenn diese monetäre abgegolten wird. Gleichwohl sind soziale Systeme nicht kostenfrei. Sie bedürfen der Aufmerksamkeit, Pflege, Investition und Anpassung.25

Die sozialalternative Transaktionsumgebung ist jene, in welcher sich auch das zur Verfügungstellen intellektueller Leistung oder Rechenleistung in einem Rechnernetzwerk abspielt. Es wäre von vornherein undenkbar, wenn die hier zur Verfügung gestellten mitunter kaum messbar kleinen Leistungseinheiten exakt trennscharf und quantifiziert abgerechnet würden. Sozialalternative Transaktionskosten wirken sich im Unterschied zu Markt- und Unternehmensbasierten Transaktionskosten folglich positiv auf die Effizienz aus.26

Auf der Grundlage der dargestellten Eigenschaften der nicht-kommerziellen, nicht-proprietären sozialen Informationsproduktion der Vernetzten Informationswirtschaft geht es nachfolgend darum wie sich exklusive Eigentumsrechte auf die Vernetzte Informationswirtschaft auswirken. Außerdem soll veranschaulicht werden wie sich hieraus Geschäftsstrategien ableiten lassen und wie sich diese Strategien gegenüberstehen.

4 Der Einfluss exklusiver Eigentumsrechte

Eine weitreichende Einschränkung erfährt die Vernetzte Informationswirtschaft durch die Durchsetzung exklusiver, proprietärer Eigentumsrechte und Patente. Information, Kulturgüter und Wissen werden anhand gesetzlicher Bestimmungen künstlich verknappt, obwohl dies aus gesellschaftsökonomischer Sicht nicht dem Wesen von Informationsgütern entspricht. Information kann schlichtweg kein knappes Gut sein (vgl. Abschnitt 2.2).

Für die Durchsetzung strikter geistiger Eigentumsrechte wird gemeinhin folgende Argumentationsweise angeführt: Urheberinnen und Urheber von Information, Wissen und Kulturgütern sind nur deshalb produktiv, weil sie davon ausgehen, dass sie ihre Produkte in einem Markt gewinnbringend absetzen können. Wenn die Vergütung weg fällt, fehlt ihnen der Anreiz weiterhin zu produzieren, was zu einem Mangel an Informationsprodukten führen würde. Über die Zeit betrachtet sorgt also das monetäre Anreizsystem für mehr Kreativität und Innovation. Deshalb nimmt der Markt – also Konsumentinnen und Konsumenten – eine Preisgestaltung, die sich immer über den Grenzkosten bewegt, auf Kosten der natürlichen Preis- und Kostendynamik in Kauf.27 Mit anderen Worten: Der Markt muss die künftigen Innovationen bezahlen sonst bleiben sie aus.

Widerlegt wird diese These neben den in Abschnitt 3.1 dargestellten Motivationsmodellen durch empirische Analysen: Fakt ist, dass Manager Qualitätssteigerung, Kostenminimierung und durchsetzungsfähige Marketingstrategien und nicht Innovationen als entscheidende unternehmerische Erfolgsfaktoren definieren.28 Fakt ist, dass die öffentliche Hand und Non-Profit-Organisationen den Großteil der Innovationsinvestitionen tätigen und nicht marktwirtschaftliche Akteure.29 Fakt ist, dass Firmen mehr in Forschung und Entwicklung investieren in Ländern mit weniger strikten geistigen Eigentumsrechten. Auf den ersten Blick sollte dies umgekehrt sein, weil die Investitionen für Innovationen in Ländern mit strengen Bestimmungen gut geschützt sind. Bei näherer Betrachtung liegen die Gründe für die gegenläufige Wirkung jedoch in den Informationseigenschaften „on the shoulder of giants“ in Verbindung mit der Nicht-Rivalität von Information im Sinne eines Gutes: Die Kosten für Informationen, die anfallen, weil diese mit exklusiven Eigentumsrechte belegt sind, die aber für die Produktion neuer Information benötigt werden, sind höher, als der Wert, der durch die Innovation zurück geführt wird. Bei einer strikten Durchsetzung exklusiver Eigentumsrechte ist es folglich ineffizient, in Innovation zu investieren.30 Strikte exklusive geistige Eigentumsrechte werden somit zu Innovationshemmnissen.

Eine plausible Erklärung für die Legitimation starker exklusiver geistiger Eigentumsrechte, ist die Betrachtung der historischen Entwicklung der Industriellen Informationswirtschaft. Die marktorientierte massenhafte Informations- und Kulturproduktion war bis ins 20. Jahrhundert an hohe Investitionskosten gebunden. Entsprechend enger und umfangreicher wurden die Bandagen der geistigen Eigentumsrechte geschnürt. Der Grund hierfür lag zum einen in der Sicherung des Ertrags, um die hohen Investitionskosten zu kompensieren und um die Gewinnmaximierung voranzutreiben. Zum anderen wurde so der Wettbewerb reguliert und der Markteintritt für Konkurrenten erschwert. Beispielhaft gelten hierfür die unzähligen Fälle zur Sicherung proprietärer technischer Patente, die es potenziellen Mitbewerbern schlicht unmöglich macht, in einen Markt einzutreten (vgl. Abschnitt 5). Zum dritten ist es nur vor dem Hintergrund strikter Eigentumsrechte möglich, große Informationsinventare anzuhäufen und mittels Konsolidierung sowie wiederholter produktgestalterischer Neuinszenierung profitabel im Markt zu platzieren.31

Zusammengenommen zeigt sich also, dass die typischen Argumentationsweisen für starke exklusive geistige Eigentumsrechte von Vorwänden geprägt sind, um daraus marktwirtschaftlichen Machteinfluss und finanzielle Vorteile zu schlagen. Die Verteidigung exklusiver Eigentumsrechte erscheint gegenüber den Möglichkeiten der Vernetzten Informationswirtschaft jedoch überholt, denn sie sind keine unabdingbaren Voraussetzungen für die Informationsproduktion. Dies belegen die unzähligen erfolgreichen Produkte sozialer Informationsproduktion.

Für genau diese Form der sozialen Informationsproduktion ist der Ansatz eines offenen Lizenzsystems unumgänglich. Ziel der sogenannten General Public Licence – kurz GPL – ist es die Urheberschaft einer Leistung zu wahren und diese gleichzeitig von Vergütungszwängen zu entkoppeln. GPL ist aus der Open Source Softwareentwicklung hervorgegangen und besagt, dass ein Produkt, welches unter der GPL steht, allen lizenzfrei zur Verfügung steht. Gleichzeitig erzwingt die GPL aber, dass alle, die das Produkt weiterentwickeln und ihrerseits veröffentlichen wollen, ihre modifizierte Produktvariante unter die gleiche Lizenz stellen müssen. Diese Urheberrechtsvariante wird auch als Copyleft bezeichnet. Mittels Copyleft werden Urheberschaften grundsätzlich gewahrt aber die Gefahr einer marktwirtschaftlich ausgerichteten proprietären Übernahmen des Produkts ausgeschlossen.32 Folglich existieren also Rechtemodelle, die die dominierenden Gesetzeslagen geistiger Eigentumsrechte ablösen könnten.

Das Zentrum des folgenden Abschnitts bilden die unterschiedlichen auf exklusiven und nicht-exklusiven Eigentumsrechten basierenden Geschäftsstrategien.

5 Strategien der Informationsproduktion

Abschließend wird Benklers propagierte soziale Informationsproduktion in den ganzheitlichen Zusammenhang existierender Produktionsstrategien gesetzt. Der Fokus liegt dabei auf der Positionierung der Produktionsstrategien gemäß der Rechtesituation und Marktstellung (Nonexclusion Nonmarket, Nonexclusion Market, Rights-based exclusion) im Verhältnis zum Aktionsradius (Public Domain, Intrafirm, Barter/Sharing).33

Geschäftsstrategien nach Benkler

Abbildung 3: Produktionsstrategien der Informationswirtschaft34

Nachfolgend sollen die verschiedenen Produktionsstrategien kurz vorgestellt und in den drei Aktionsradien Public Domain, Intrafirm und Barter/Sharing nebeneinander gestellt werden.

PUBLIC DOMAIN

Public Domain, was soviel wie „lizenz-“ und „gemeinfrei“ heißt, wird in diesem Zusammenhang als der Aktionsradius verstanden, in welchem sich jede natürlichen Einzelperson also die Allgemeinheit frei bewegen kann. Unternehmen können sich zu gleichen Bedingungen wie natürliche Personen beteiligen.

Joe Einstein: Hier wird die marktunabhängige, nicht-wirtschaftliche, auf nicht-exklusiven Rechten basierende Strategie dargestellt, die alle gängigen sozialen Informationsproduktionspraktiken umfasst. Sie basiert auf den unterschiedlichsten Motivationsmustern und wird von allen Gesellschafts- und Bildungsschichten praktiziert.[35]

Scholary Lawyers: Diese Strategie meint die wirtschaftliche Abschöpfung von Nebeneffekten, die durch Informationsproduktion entstehen. Nicht exklusive Eigentumsrechte werden monetarisiert sondern die Steigerung der Reputation anhand einer Verbesserung der Auftragslage. Zweidrittel der Softwareindustrie basiert nicht auf der Veräußerung von Softwarelizenzen sondern auf den Dienstleitungen, die um Softwareprodukte herum angeboten werden.36

Romantic Maximizers: Diese Vorgehensweise vereint die große Gruppe von Autoren, Einzelproduzenten und Kleinunternehmen, die in Erwartung von Nutzungsgebühren, Lizenzgebühren und Tantiemen in einem Markt auf der Grundlage exklusiver Eigentumsrechte Informationsproduktion betreiben. Sie verkaufen ihr Informationsprodukte meist an Mickeys.37

INTRAFIRM

Intrafirm bezeichnet Austauschbeziehungen innerhalb von Firmen und Firmenzusammenschlüssen.

Los Alamos: Diese Vorgehensweise steht für die Produktion öffentlicher nicht-marktwirtschaftlicher, nicht auf exklusiven Eigentumsrechten basierenden Güter in öffentlichen Einrichtungen allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Behördenaufgaben fallen dieser Strategiegruppe zu.38

Know-How: Unter Know-How wird die weit verbreitet Strategie verstanden, in der sich Firmen zusammen schließen, um gemeinsam an die gleiche Information zu gelangen. Zeitung engagieren beispielsweise die gleichen Agenturen und Reporter, um kostengünstig an die gleichen nicht-exklusiven aber wirtschaftlich substanziellen Informationen zu gelangen.39

Mickey: Dieser Ansatz umfasst die Unternehmen, die mittels der Auswertung exklusiver Eigentumsrechte bzw. Nutzungsrechte marktwirtschaftliche Interessen verfolgt. Sie kaufen Nutzungsrechte der Strategiegruppe Romantic Maximizers ein, engagieren eigene Produzenten und häufen Rechteinventare an, um diese produktgestalterisch aufbereitet immer wieder in den Markt einzubringen. Exklusive Eigentumsrechte wie beispielsweise Patente können zudem dazu dienen, Konkurrenten am Markteintritt zu hindern.40

BARTER/SHARING

Barter/Sharing meint das Tauschen und Teilen von Informationsressourcen. In diesem Aktionsradius bewegen sich natürliche Einzelpersonen wie auch Unternehmen.

Limited Sharing Networks: Dieses Vorgehen verfolgt den wechselseitigen Austausch von Informationen in begrenzten Umgebungen. Sie basiert auf nicht-marktwirtschaftlicher Informationsproduktion, die sich nicht auf exklusive Rechte stützt. Akademiker, die untereinander Informationen austauschen, gehen dieser Strategie nach.41

Learning Networks: Firmen schließen sich mittels dieser Strategie Lernnetzwerken an, um auf dem aktuellen Stand der Technik zu bleiben. In der Softwareindustrie ist es beispielsweise üblich, dass sich Firmen an der Entwicklung von Open-Source-Projekten beteiligen, um von entsprechenden Lerneffekten zu profitieren. Der Strategie liegen klare marktwirtschaftliche Ziele zugrunde, die aber nicht auf der Durchsetzung exklusiver Eigentumsrechte beruhen.42

RCA: Die Firma RCA (Radio Corporation of America), GE (General Electric), AT&T (American Telephone & Telegraph Corporation) und Westinghouse teilten sich in den 1920er Jahren Patente an der damaligen Radiotechnologie, um sich gegenseitig an Alleingängen und die Konkurrenz am Markteintritt zu hindern. Diese Strategie ist folglich darauf ausgerichtet, mittels gezielter Aufteilung exklusiver Eigentumsrechte marktwirtschaftliche Bewegungen zu lenken.43

Die Skizze der unterschiedlichen Strategien macht deutlich, dass Informationsproduktion keineswegs auf einer bestimmten dominierenden Vorgehensweise beruht. Gleichwohl geht es in allen marktwirtschaftlichen Strategien darum, Kostenminimierung bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung zu erzielen. Das heißt, dass zur Informationsproduktion so weit es möglich ist, auf Informationsressourcen zugegriffen wird, die lizenzfrei und zu Grenzkosten Null zur Verfügung stehen. Die Skizze verdeutlicht die Erkenntnis, dass starke exklusive geistige Eigentumsrechte, egozentrisches marktwirtschaftliches Kalkül begünstigt, was frappierende Einschnitte für die gesellschaftliche Entwicklung zur Folge hat. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Strategie RCA in Verbindung mit den in Abschnitt 4 dargestellten Erkenntnissen zur Innovation.

6 Zusammenfassung

Es ist ein glücklicher Zufall für unsere Gesellschaften, dass die technische Entwicklung der digital vernetzten Welt den Weg der Dezentralisierung von Leistungsressourcen genommen hat. Dies ermöglicht einer Vielzahl von Menschen, sich in den neu entstandenen Spielräumen zu entfalten und selbige für ihre Interessen zu nutzen (vgl. Abschnitt 2). Es ist die Chance für Millionen von Individuen, ihre überschüssigen Leistungskapazitäten zusammenzuführen und modular aufeinander aufzubauen (vgl. Abschnitt 3). Die Motivation der oder des einzelnen dahinter ist simpel: Es gibt ihrem oder seinem ganz persönlichen Leben Sinn, welcher letztlich der Kern sozialpsychologischer Bedürfnisbefriedigung ist (vgl. Abschnitt 3.1). Ein weiterer Glücksfall ist, dass sich ein Großteil der Menschheit freien Zugang zu diesen Leistungen verschaffen kann. Dass hieraus zusammengenommen das Phänomen der Vernetzten Informationswirtschaft resultiert und dieses imstande ist, die vermeintlich unerschütterliche Industrielle Informationswirtschaft ins Wanken zu bringen, ist hingegen kein Zufall: Das Gemeingut Information wurde und wird durch Rechtssysteme in seinen gesellschaftsökonomischen Bestandteilen manipuliert (vgl. Abschnitt 2.2 und 4). Es wird künstlich verknappt, um daraus Profit zu schlagen und das Rechtesystem zudem dafür missbraucht, um Konkurrenten am Markteintritt zu hindern (vgl. Abschnitt 4 und 5). Dieses systematisch egozentrische Marktverhalten funktioniert jedoch nur solange, bis Akteure in den Mittelpunkt des Geschehens rücken, die auf den Profit verzichten (vgl. Abschnitt 2). Möglich wird dies durch die Entwicklung der Vernetzten Informationswirtschaft, dessen Bedeutung Yochai Benkler wie folgt zusammenfasst:

„At the heart of the economic engine, of the world’s most advanced economies, we are beginning to notice a persistent and quite amazing phenomenon. A new model of production has taken root; one that should not be there, at least according to our most widely held beliefs about economic behavior. It should not, the intuitions of the late-twentieth-century American would say, be the case that thousands of volunteers will come together to collaborate on a complex economic project. It certainly should not be that these volunteers will beat the largest and best-financed business enterprises in the world at their own game. And yet, this is precisely what is happening in the software world.“44

Literaturverzeichnis

Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How Social Production Transforms Markets and Freedom. New Haven / London. S. 29-127.

Fußnoten

1 vgl. S. 70ff.

2 vgl. S. 64f.

3 vgl. S. 81f.

4 Gruppenproduktion ist genau genommen eine Form der sozialen Informationsproduktion. Umgekehrt basiert soziale Informationsproduktion jedoch in der Regel auf Gruppenproduktionen. Daher werden die Begriffe in der vorliegenden Arbeit synonym für einander verwendet.

5 Anmerkung des Autors: Gesellschaftsökonomische Gesichtspunkte umfassen ökonomische Aspekte innerhalb einer Gesellschaft. Für die vorliegende Arbeit wird dieser Begriff in Abgrenzung zu rein wirtschaftlichen oder volkswirtschaftlichen Faktoren verstanden.

6 Unter Information wird in diesem Zusammenhang ein breites Spektrum immaterieller Güter wie Wissen, Kultur und Informationen im engeren Sinne verstanden.

7 vgl. S. 29ff. 50f., 55

8 vgl. S. 29ff.

9 vgl. S. 31ff.

10 vgl. S. 35f.

11 vgl. S. 36f.

12 vgl. S. 55

13 vgl. S. 37; Der Aspekt der Innovation und der Einflussfaktor exklusiver geistiger Eigentumsrechte wird näher in Abschnitt 2.2 und 4 behandelt.

14 vgl. S. 91f.

15 vgl. S. 92f., 96

16 vgl. S. 93f.

17 vgl. S. 95f.

18 vgl. S. 96ff.

19 vgl. S. 99

20 vgl. S. 113f.

21 vgl. S. 99

22 vgl. S. 100f.

23 vgl. S. 60, 103f.

24 vgl. S. 106f.

25 vgl. S. 107ff.

26 vgl. S. 113

27 vgl. S. 37f.

28 vgl. S. 40f.

29 vgl. S. 39ff.

30 vgl. S. 38f.

31 vgl. S. 49f., 56f.

32 vgl. S. 63ff.

33 Um den originären Inhalt der Begriffe durchgehend zu erhalten, wird in diesem Zusammenhang auf eine vollständige Übersetzung verzichtet.

34 in Anlehnung an „Table 2.1: Ideal.Type Information Productuion Strategies“ Benkler, 2006, S. 43

35 vgl. S. 47f.

36 vgl. S. 44f.

37 vgl. S. 42ff.

38 vgl. S. 48

39 vgl. S. 45f.

40 vgl. S. 43f.

41 vgl. S. 48

42 vgl. S. 46

43 vgl. S. 44

44 S. 59

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